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Auch die höchsten Deiche geben keine absolute Sicherheit: Rückblick auf die Sturmflut 1962

Vincinette – die Siegreiche – versetzt im Februar 1962 die niedersächsische Küste in Angst und Schrecken: Das Orkantief kommt aus Island und sorgt am 16. und 17. Februar für eine Sturmflut, die als Katastrophenflut in die Geschichte eingeht. Und obwohl es nach 1962 eine ganze Reihe schwerer Sturmfluten gab – erinnert sei an den 3. Januar 1976, als es an der Elbe die höchsten jemals gemessenen Wasserstände gab oder an den 28. Januar 1994, als es an der Ems oberhalb von Leerort zu neuen Höchstwasserständen kam – hat die 2. Julianenflut einen besonderen Stellenwert. Und dabei hat Niedersachsen insgesamt noch Glück gehabt – verglichen mit dem Grauen, dass die Sturmflut in Hamburg und Schleswig-Holstein anrichtete.

Im Ablauf ähnelte die 1962er Flut an der niedersächsischen Küste der Weihnachtsflut von 1717. Der Orkan trieb das Wasser sehr schnell hoch und hielt es sehr lange auf Höchstständen am Deich. Da außerdem gerade zur Zeit der höchsten Wasserstände der Orkan seine größte Wucht entfaltete, entwickelte sich eine starke Brandung, die den Deichen zusetzte.

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Gebrochene Deiche und überflutete Flächen - wie hier der gebrochene Schwingedeich unterhalb Stade.
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Glück im Unglück: Bundeswehreinheiten konnten sofort eingesetzt werden.

Ihre katastrophale Energie entfaltete die Flut im damaligen Regierungsbezirk Stade. „51 Deichbrüche zählte die nach der Sturmflut eingerichtete Ingenieur-Kommission des Landwirtschaftsministeriums in diesem Bereich“, schreibt Heiner Schröder in seinem Buch „Sturmflut – 1000 Jahre Katastrophen an der ostfriesischen Küste“. 61 Deichbrüche gab es insgesamt in Niedersachsen – so ist es in dem vom NLWKN herausgegebenen Generalplan Küstenschutz nachzulesen. 1963 gab die Landesregierung die Schäden bekannt: Die Deichschäden summierten sich auf 130 Millionen Mark; die Landwirtschaft musste Verluste von über 30 Millionen Mark verkraften.

Viele Menschen verloren ihr Leben: In der im Bertelsmann-Verlag erschienenen „Chronik der Deutschen“ ist von 25 Toten in Niedersachsen die Rede; der Generalplan Küstenschutz erwähnt 19 Tote.

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Gebrochen - der linke Schwingedeich in Stade am nördlichen Stadtrand. Im Hintergrund das überflutete Kehdingen.
Deichbrüche, überflutete Dörfer und Felder: Eine Zusammenstellung für Niedersachsen

„340 Tote, davon 19 aus Niedersachsen, ca. 28.000 Wohnungen bzw. Häuser beschädigt und 1300 völlig zerstört; höchste bisherige Sturmflut östlich der Jade mit 61 Deichbrüchen in Niedersachsen; betroffen war vor allem das Elbegebiet mit seinen Nebenflüssen“ – so fasst der vom NLWKN herausgegebene Generalplan Küstenschutz die Folgen der sogenannten 2. Julianenflut vom Februar 1962 zusammen. Die folgende Zusammenfassung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Den damaligen Regierungsbezirk Stade – den Niederelberaum – trifft die Sturmflut hart: Zehn Tote und 51 Deichbrüche sind die bittere Bilanz. Das Stader Tageblatt schreibt in der Ausgabe vom 19. Februar 1962: „Keine Deichstrecke im gesamten Niederelberaum blieb ohne Schaden. Von der Oste bis zur Este gischten die Wasserfluten über den Elbdeich hinweg“. Die größten Schäden sind entstanden, weil die Deiche an den Nebenflüssen der Elbe nicht gehalten haben. Beispiel Lühe: Fünf Deichbrüche wurden registriert.

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Verheerende Auswirkung: Der Deichbruch bei Stade.

Die gefährlichste Situation entstand an der Schwinge am Stadtrand von Stade: Durch drei Bruchstellen am Schwinge-Deich strömte das Wasser bis Assel nach Kehdingen hinein. Im Protokoll des Einsatzstabes des Wasserwirtschaftsamtes Stade heißt es kurz und knapp: „Der Schwingedeich in Kehdingen läuft in breiter Front über“. Später wird klar, dass im Zusammenhang mit dem Bruch des Schwingedeiches drei Menschen sterben: Ein Polizist und zwei Angehörige der Bundeswehr.

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Dokumentierte 51 Deichbrüche im Regierungsbezirk Stade.

Das Fazit: Die Elbdeiche brechen reihenweise, wie die Übersichtskarte des NLWKN deutlich macht. Dazu kommen Rutschungen auf ganzer Länge.

Doch der Einsatzstab des Wasserwirtschaftsamtes Stade sorgt sich auch um das Gebiet der oberen Tideoste, „da hier bei der Sturmflut am 12. Februar 1962 bereits mehrere Deichschäden entstanden sind, die bisher noch nicht ausgebessert werden konnten“, wie es im Protokoll heißt. Die Sorge war berechtigt: Am Unterlauf der 1962 noch nicht durch ein Sperrwerk gegen Sturmfluten geschützten Oste, einem Nebenfluss der Elbe, kam es im gesamten Bereich zwischen Otterndorf und Bremervörde zu zahlreichen Deichüberflutungen und Deichbrüchen. Auf Grund äußerst ungünstiger Untergrundverhältnisse hatten die Deiche hier nur eine sehr geringe Höhe, so dass die Fluten rasch die Deichkrone erreichten und diese überströmten.

Das dreiseitige Protokoll des Wasserwirtschaftsamtes Stade listete aus jener Nacht eine Horrornachricht nach der anderen auf und endet dennoch optimistisch: „Bis zum Abend des 17. Februar ist die Sicherung der über 40 Deichbrüche im Amtsbezirk wieder soweit gediehen, dass Fluten von 1,50 Meter über Mitteltidehochwasser fast überall abgewehrt werden können“.

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Deichbruch in Bullenhausen am 17. Februar 1962

Im Landkreis Harburg fordert die Sturmflut vier Todesopfer. Der Deich in Bullenhausen ist der erste, der den Wassermassen nicht stand hält, wenig später klafft im Querdeich zwischen den Ortschaften Stelle und Achterdeich eine 20 Meter breite Lücke. Insgesamt werden zehn Deichbrüche registriert, schreibt der ehemalige NLWKN-Mitarbeiter Otto Puffahrt im Harburger Kreiskalender von 1983. Fast 7000 Hektar Fläche wurden überflutet.

„Schwerste Sturmflut des Jahrhunderts“ – so titelt der in Norden erscheinende Ostfriesische Kurier auf der ersten Seite der Sonderausgabe vom 6. März 1962. Dennoch: Ostfriesland kam im Vergleich mit anderen Regionen glimpflich davon. Nur ein Deich bei Völlen im Landkreis Leer ist auf einer Breite von 60 Metern gebrochen: Ansonsten halten die Deiche stand – zum Teil aber nur deshalb, weil die Menschen mit Sandsäcken gegen die Fluten kämpften. Die ostfriesischen Inseln kamen sehr in Bedrängnis: Alle Inseln erlitten heftige Dünenabbrüche.

Der benachbarte Kreis Friesland „ist mit Ausnahme der Insel Wangerooge und unserer vor dem Schaudeich liegenden eingedeichten Grodenländereien außerordentlich gut davon gekommen“, stellt der Oberkreisdirektor in einer außerordentlichen Kreistagssitzung im März 1962 fest. Der Elisabethgroden mit 800 Hektar wurde überflutet, was seit 1906 nicht mehr geschehen war. Obendrein ist der Deich an zehn Stellen gebrochen.

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Gebrochener Deich bei Käsebrug im Landkreis Wesermarsch: Die Bundeswehr hilft.
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Verwüstet: Starke Sturmschäden auf Norderney.
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Deichbruch nordwestlich der Seeschleuse Papenburg am 16./19. Februar 1962. Die Deichbruchlänge betrug 55m.
NLWKN Kurier Heiko Campen Bildrechte: Heiko Campen
Hilflos in Ostfriesland: Mit Sandsäcken versuchen die Bewohner die Schäden zu begrenzen.

Artikel-Informationen

erstellt am:
30.01.2012
zuletzt aktualisiert am:
16.02.2022

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