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Klimawandel und Küstenschutz: Ein entscheidender Meter mehr

Niedersächsischer Klimadeich und Verdopplung des Vorsorgemaßes


Niedersächsischer Klimadeich hier als Schardeich mit Nacherhöhbarkeit binnen um einen weiteren Meter   Bildrechte: NLWKN
Der niedersächsischer Klimadeich hier in der Ausführung eines Schardeichs. Gut im Schaubild erkennbar: Die Nacherhöhbarkeit binnen um einen weiteren Meter (Bild NLWKN).

Von Frank Thorenz und Jörn Drosten

Die Anpassung an den Klimawandel bildet für die Küstenschutzstrategie Niedersachsens einen zentralen Baustein: Bei der Konzeption von Küstenschutzanlagen wird auf Grund der jüngsten Berichte des Weltklimarates IPCC zukünftig ein sogenanntes Vorsorgemaß von 100 Zentimetern statt bisher 50 cm berücksichtigt. Der neue niedersächsische Klimadeich ermöglicht darüber hinaus für den Fall ungünstiger Entwicklungen eine Deicherhöhung um einen weiteren Meter.

Für die etwa 6.500 Quadratkilometer großen Küstengebiete in Niedersachsen sind der gesicherte langfristige Schutz vor Überflutung und Landverlusten von existentieller Bedeutung. Diese Daueraufgabe nehmen das Land Niedersachsen und die Deichverbände partnerschaftlich in gemeinsamer Verantwortung wahr. Nicht allein bei Sturmfluten, sondern bereits bei Eintritt des mittleren Tidehochwassers wären größere Teile der Küstengebiete ohne Küstenschutzanlagen überflutet. Küstenschutz ist vorausschauend orientiert und berücksichtigt in der im Generalplan Küstenschutz dokumentierten Küstenschutzstrategie des Landes Niedersachsen insbesondere auch potentielle Folgen des Klimawandels. Bereits seit dem Jahr 2007 wird ein Vorsorgemaß von 50 Zentimeter für die potentiellen Auswirkungen des Klimawandels in die Ermittlung des jeweiligen Bemessungswasserstands für Küstenschutzanlagen vorsorglich einbezogen. Zudem erfolgt eine regelmäßige Überprüfung der erforderlichen Deichhöhen in einem Turnus von etwa zehn Jahren.

In dem im September 2019 veröffentlichten „Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima“ (SROCC) des Weltklimarats IPCC werden die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die physikalisch-wissenschaftlichen Grundlagen und die Auswirkungen des Klimawandels bewertet. Für den Küstenschutz besonders relevant sind Projektionen des zukünftigen mittleren Meeresspiegelanstiegs bis zum Ende des Jahrhunderts im Vergleich zum Jahr 2000. Die wahrscheinliche Bandbreite aller Projektionen beträgt 15 bis 110 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts im Vergleich zum Jahr 2000 und für das pessimistische Szenario RCP („repräsentativer Konzentrationspfad“) 8.5 zwischen 61 bis 110 Zentimeter bei einem Medianwert von 84 Zentimeter, verbunden mit einer Fortsetzung des Meeresspiegelanstiegs weit über das Jahr 2100 hinaus.

Im Kontext der Veröffentlichung des SROCC haben sich die Küstenländer auf Ebene der Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) darauf verständigt, für Vorsorgezwecke die auf RCP 8.5 basierenden Projektionen und, speziell für den Küstenschutz unter Betrachtung weiterer Einflussgrößen, ein auf den Klimawandel bezogenes Vorsorgemaß von einem Meter zu verwenden – anstelle der bisher gültigen 50 Zentimeter. Auf dieser Grundlage haben das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz und der NLWKN in enger Abstimmung die im Generalplan Küstenschutz beschriebene niedersächsische Küstenschutzstrategie weiterentwickelt. Kernpunkt des zugehörigen Erlasses bildet weiterhin der Erhalt des Küstenschutzsystems in Niedersachsen zum Schutz gegen Überflutungen und Erosion, um das hohe derzeitige Sicherheitsniveau auch auf absehbare Zeit beibehalten zu können. Für die Ermittlung des Bemessungswasserstands aller vor Sturmfluten schützenden Küstenschutzanlagen wird zukünftig ein Vorsorgemaß von einem Meter berücksichtigt. Hauptdeiche als technische Bauwerke sollen als Standard auch zukünftig in Erdbauweise ausgeführt werden, um die Vorteile leichter Anpassbarkeit, Ressourcenschonung sowie einfacher, wirtschaftlicher Unterhaltung und Pflege zu kombinieren. An der niedersächsischen Küste sind grüne Deiche Bestandteil des Landschaftsbilds und bilden einen durchgängigen Übergang zwischen geschütztem Gebiet und dem Außendeichbereich. Basierend auf dem Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen ist davon auszugehen, dass Kleiressourcen in erforderlichem Umfang auch für die Anpassung an den Klimawandel verfügbar sein werden.

Auch vor dem Hintergrund der großen Unsicherheiten in den Projektionen der Klimaforschung und der Langfristigkeit der Entwicklungen wird zusätzlich eine Nacherhöhbarkeit von Hauptdeichen um einen weiteren Meter innerhalb der Aufstandsfläche des Deiches durch eine breitere Binnenberme, dem nahezu horizontalen Bereich am Deichfuß, auf dem sich der Deichverteidigungsweg befindet, vorgesehen. Nur in hinreichend begründeten Fällen kann durch eine breitere Außenberme oder eine Kombinationslösung aus Binnen- und Außenberme abgewichen werden.

Durch die Kombination des erhöhten Vorsorgemaßes mit einer breiteren Berme wird es möglich, flexibel auf zukünftige Anpassungsbedarfe zu reagieren. Diese zukunftsfähige Deichkonstruktion bildet den neuen technischen Standard für Hauptdeiche als Niedersächsischer Klimadeich.

Für Neubauten von sturmflutkehrenden massiven Küstenschutzbauwerken in der Hauptdeichlinie (zum Beispiel Sperrwerken) wird zukünftig die Anpassbarkeit von bis zu einem weiteren Meter über die mit dem neuen Vorsorgemaß ermittelte Höhe hinaus in der Gründung und Tragwerksplanung unter Berücksichtigung der Funktionalität und Lebensdauer vorgesehen.

Das neue Vorsorgemaß von einem Meter einschließlich einer Nacherhöhbarkeit um einen weiteren Meter durch eine breitere Berme bildet auch die Grundlage für die Aktualisierung der Teile 1 und 2 des Generalplans Küstenschutz durch den NLWKN als Teil der Anpassungsstrategie an den Klimawandel in Niedersachsen.

Artikel-Informationen

erstellt am:
15.06.2021
zuletzt aktualisiert am:
29.06.2021

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