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Einst Bedrohung – nun bedroht: Binnendünen in Niedersachsen

NLWKN und Niedersächsische Landesforsten setzen gemeinsam Vorhaben zum Schutz gefährdeter Binnendünen um.


Die Entwicklung offener Binnendünen ist ein Ziel des EU-geförderten IP Life-Projektes „Atlantische Sandlandschaften“.   Bildrechte: Alexander Schlichter
Die Entwicklung offener Binnendünen ist ein Ziel des EU-geförderten IP Life-Projektes „Atlantische Sandlandschaften“.

Von Kristof Meyn, Thomas Kutter und Oliver Richter

Mehr Fläche für offene Binnendünen: Die Gefahr vor Überwehung ganzer Ortschaften durch Sanddünen veranlasste die Menschen im 19. Jahrhundert, sie großflächig aufzuforsten. Durch weitere Gefährdungen sind landesweit aktuell nur noch Restflächen vorhanden. Tendenz sinkend. Durch gezielte Kooperationen mit niedersächsischen Institutionen stellt sich der NLWKN im Rahmen des IP LIFE-Projektes „Atlantische Sandlandschaften“ diesem Trend entgegen.


Binnendünen im Wandel der Zeit

Die Binnendünen bei Ehrhorn in der Lüneburger Heide haben im Laufe der Jahrtausende Wald kommen und gehen gesehen. Archäologische Untersuchungen ergaben jüngst, dass die Entstehung der Dünen im Forstgebiet am »Großen Sand« bis in die letzte Kaltzeit zurückgehen muss – eine in dieser Region baumfreie Zeit. Vor etwa 12.000 Jahren begannen die Wälder zunächst die nacheiszeitlichen Steppen Mitteleuropas zurückzuerobern, bis im Mittelalter großflächige Rodungen ihren Höhepunkt fanden. In dieser Zeit entstanden Landschaften wie die Lüneburger Heide.

Die freigelegten Sande wanderten als Dünen, zerstörten Nutzflächen und drohten ganze Ortschaften zu überwehen. Aus Angst vor Holz- und Nahrungsengpässen begannen die Menschen, die Landschaft wieder aufzuforsten. Die Dünen wurden durch die Pflanzungen festgesetzt und unter Kontrolle gebracht. Über 90 % der ehemals offenen Binnendünen sind heute wieder von Wald bedeckt. Seit den 1990er Jahren sind bestimmte Ausprägungen der selten gewordenen Offenland-Lebensräume auf Binnendünen durch die FFH-Richtlinie (Fauna-Flora-Habitat) EU-weit als Lebensraumtypen (kurz: LRT) geschützt. In Niedersachsen gehören diese zu den am stärksten gefährdeten Lebensraumtypen – insgesamt leider mit negativem Trend.


Länderübergreifende Zusammenarbeit

Die Länder Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen beschlossen zusammenzuarbeiten, um diesen Trend zu stoppen. Für insgesamt 15 Lebensraumtypen und 10 Arten sollen im Rahmen des länderübergreifenden und von der EU geförderten IP LIFE Projektes „Atlantische Sandlandschaften“ Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Erhaltungszustände ergriffen werden. Charakteristische Biotope der atlantischen biogeographischen Region sollen dabei landesweit nachhaltig aufgewertet oder entwickelt werden. Auch die Bestände der für diese Lebensräume typischen Arten wie Knoblauchkröte, Kreuzkröte, Schlingnatter und Zauneidechse sollen gestärkt werden. Für die Umsetzung des auf zehn Jahre angelegten Projektes bleibt den Ländern Zeit bis 2026. Die operative Umsetzung des Projektes in Niedersachsen liegt beim NLWKN.

Die Entwicklung offener Binnendünen ist ein Ziel des EU-geförderten IP Life-Projektes „Atlantische Sandlandschaften“.   Bildrechte: Kristof Meyn
Die Entwicklung offener Binnendünen ist ein Ziel des EU-geförderten IP Life-Projektes „Atlantische Sandlandschaften“.

Landesweites Netzwerk

Die noch verbliebenen Restflächen der Binnendünen-Lebensraumtypen in Niedersachsen sind aktuell häufig gefährdet durch Nährstoffeinträge aus der Luft oder angrenzende Ackernutzung sowie durch Verbuschung aufgrund von Nutzungsänderung oder mangelnder Pflege. Ein landesweites Ziel für die Binnendünen-LRT ist die Vergrößerung ihrer Fläche, weil diese ein ausschlaggebender Faktor zur Bewertung der Erhaltungszustände ist. Im Rahmen des Projektes arbeitet der NLWKN deshalb schwerpunktmäßig daran, bestehende Lebensraumflächen zu vergrößern oder ganz neue Flächen zu schaffen. Im Alleingang ist das aus Hannover jedoch nicht leistbar. Ein Netzwerk von lokalen Partnerinnen und Partnern wie unteren Naturschutzbehörden, NLWKN-Betriebsstellen, Naturschutzverbänden, ökologischen Stationen und vielen weiteren Akteurinnen und Akteuren bindet das Projekt-Team darum in alle Maßnahmen ein.


Das Projektgebiet

In der Nähe von Ehrhorn wies das Projektgebiet „Großer Sand“ vor der Maßnahmenumsetzung eine lichte Bestockung mit Kiefern auf. Ursprünglich war im Rahmen des IP LIFE-Projektes vorgesehen, auf der Fläche etwa 1,5 ha Binnendünen-Lebensraumtypen wiederherzustellen. Im Zuge der Planung der Maßnahme wurde deutlich, dass hier auch größer gedacht werden kann. Das Forstamt Sellhorn erklärte sich bereit, die Maßnahmenfläche zu vergrößern, sodass die weitere Auflichtung des Bestandes auf etwa 6 ha erfolgte. Dabei blieb die Fläche offiziell Wald. Im Sinne des Waldgesetzes gehören zum Wald auch Moore, Heiden, Gewässer und sonstige ungenutzte Ländereien, die mit Wald zusammenhängen.

Vor Umsetzung der Maßnahme markiert Oliver Richter, Förster für Waldökologie und Naturschutz beim Forstamt Sellhorn, die auszusparenden Flächen der späteren Zielvegetation.   Bildrechte: Kristof Meyn
Vor Umsetzung der Maßnahme markiert Oliver Richter, Förster für Waldökologie und Naturschutz beim Forstamt Sellhorn, die auszusparenden Flächen der späteren Zielvegetation.
Schweres Gerät kommt zum Einsatz, um den Oberboden abzutragen und zur sandüberdeckten Verwallung zu transportieren.   Bildrechte: Alexander Schlichter
Schweres Gerät kommt zum Einsatz, um den Oberboden abzutragen und zur sandüberdeckten Verwallung zu transportieren.
Ein Traktor mit angehängter Mulde kippt den Oberboden in die Vertiefung der späteren sandüberdeckten Verwallung.   Bildrechte: Tom Kutter
Ein Traktor mit angehängter Mulde kippt den Oberboden in die Vertiefung der späteren sandüberdeckten Verwallung.

Was wurde gemacht?

Vor Umsetzung der Maßnahme markierte Oliver Richter, Förster für Waldökologie und Naturschutz beim Forstamt Sellhorn, die bereits vorhandenen offenen Sandstellen mit Silbergras, Heideflächen oder Vorkommen der Krähenbeere, um sie vor schwerem Gerät zu schützen. Von hier aus soll die Zielvegetation die widerhergestellte Fläche später besiedeln. Nach der weiteren Auflichtung des Bestandes bearbeitete eine beauftragte Firma die Fläche zunächst im Winter 2019/2020 mit einem Forstmulcher, um auf der Fläche verbliebenes Gehölzmaterial sowie den Aufwuchs der invasiven Traubenkirsche zu zerkleinern. Dies war Voraussetzung für das Abtragen des Materials im Winter 2020/2021 mittels Bagger bis auf den mineralischen Grund, um den Dünensand wieder freizulegen – sogenanntes Plaggen.

Eine Planierraupe verdichtet den zur Abdeckung des Oberbodens genutzten Sandboden.   Bildrechte: Tom Kutter
Eine Planierraupe verdichtet den zur Abdeckung des Oberbodens genutzten Sandboden.
Die sandüberdeckte Verwallung aus der Vogelperspektive – zentral sichtbar ist der dunklere eingebrachte Oberboden. Der hellere Sand ist hier bereits zur Abdeckung des Oberbodens genutzt und verdichtet worden (oberen Bildhälfte).   Bildrechte: Alexander Schlichter
Die sandüberdeckte Verwallung aus der Vogelperspektive – zentral sichtbar ist der dunklere eingebrachte Oberboden. Der hellere Sand ist hier bereits zur Abdeckung des Oberbodens genutzt und verdichtet worden (oberen Bildhälfte).
Bereiche mit bereits vorhandener Zielvegetation wurden geschont und nicht mittels Bagger geplaggt. Von hier aus soll sich die wertvolle Vegetation in die offenen Sandbereiche ausbreiten.   Bildrechte: Kristof Meyn
Bereiche mit bereits vorhandener Zielvegetation wurden geschont und nicht mittels Bagger geplaggt. Von hier aus soll sich die wertvolle Vegetation in die offenen Sandbereiche ausbreiten.

Die Baggerfahrer entnahmen nach dem Oberbodenabtrag auch die Wurzelstubben der gefällten Bäume und platzierten sie auf Anweisung des Försters in Haufen oder Wällen als Versteckmöglichkeit und Sonnenplätze an Waldrändern, damit die Fläche auch als Lebensraum für Reptilien, wie die Zauneidechse, attraktiv wird. Seit 2021 liegt der Dünensand also wieder frei. Eine Initiierung von Heidevegetation durch ortsnah gewonnenes Heide-Mahdgut soll der Verbuschung durch Kiefern vorbeugen. Ein Monitoring zur Überprüfung des Erfolges der Maßnahme dokumentiert über die nächsten Jahre die Entwicklung der Maßnahmenfläche.

Die sandüberdeckte Verwallung passt sich nach Abschluss des Vorhabens optisch unauffällig in die Dünenlandschaft ein.   Bildrechte: Oliver Richter
Die sandüberdeckte Verwallung passt sich nach Abschluss des Vorhabens optisch unauffällig in die Dünenlandschaft ein.


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Hintergrundinformationen

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Was geschah mit dem Boden?

Auf 6 ha Fläche fällt eine Menge abzutragendes Material an. Doch wohin damit? Das IP LIFE-Team beim NLWKN und das Forstamt Sellhorn strebten an, den abgetragenen Oberboden möglichst ortsnah wieder einzubringen, um klimaschädliche Transporte von hunderten LKW-Ladungen Bodenmaterial zu vermeiden. Der zuständige Landkreis Harburg genehmigte daher, im randlichen Bereich der Maßnahmenfläche den Oberboden in eine „sandüberdeckte Verwallung“ einzubauen. Die Baggerfahrer legten durch Ausbaggern von Sand eine Mulde an, in welche der gesamte Oberboden aus dem Gebiet eingebracht wurde. Abschließend deckten sie den Oberboden mit dem vorher entnommenen Sand wieder ab, sodass die Verwallung sich optisch ins Gelände einfügte. Auf diese Weise wurde nicht nur CO2, sondern auch noch Steuergeld gespart.

Archäologische Funde werden gesichert und eingemessen.   Bildrechte: Tom Kutter
Archäologische Funde werden gesichert und eingemessen.

Den Rentierjägern auf der Spur


Im Nordwesten des Maßnahmengebietes liegt ein landesweit bedeutsamer Fund aus dem Paläolithikum. In der Altsteinzeit war dieser Dünenzug bereits vorhanden und wurde von Rentierjägern als Lagerplatz genutzt. Die Fundstelle wurde 1879 bei Forstvermessungen entdeckt. Die Umsetzung der Maßnahme musste daher nahtlos archäologisch begleitet werden. Während des Oberbodenabtrags entdeckte die beauftragte Archäologin an mehreren Stellen kleine Steinsplitter, die darauf hindeuten, dass am Fuße der Dünen die Rentierjäger Werkzeuge hergestellt haben.

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