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Klassifikation und Typisierung von Biotopen für Naturschutz und Landschaftsplanung

Ein Beitrag zur Entwicklung von Standards für Biotopkartierungen, dargestellt am Beispiel von Niedersachsen


Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen
Heft 47
(2010), 322 S. + CD, 29,- € 2,50 €, Download als PDF in der Infospalte

von Olaf von Drachenfels

Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen häufig verwendeter Fachbegriffe
Danksagung
Zusammenfassung
Summary
1 Einleitung und Aufgabenstellung
1.1 Stand der Biotopkartierung in Deutschland
1.2 Zielsetzung
2 Methoden und Arbeitsschritte
2.1 Klassifikation und Typisierung
2.2 Datengrundlagen
2.3 Arbeitsschritte
3 Biotoptypen als naturwissenschaftliche Kategorie – Grundlagen der Klassifikation und Typisierung von Biotopen
3.1 Der Biotop in der bioökologischen Terminologie
3.2 Ökotop und Biotop in der landschaftsökologischen Terminologie
3.3 Vegetationskundliche Grundlagen der Biotopklassifikation
3.4 Synthese: Komponenten von Biotopen und Typisierungskriterien
3.5 Fazit für das Biotoptypenkonzept des Naturschutzes
4 Biotoptypen als Bewertungs- und Planungseinheiten
4.1 Methodische Grundlagen
4.2 Bewertungskriterien auf der Typusebene
4.3 Zusätzliche Bewertungskriterien auf der Objektebene
4.4 Biotoptypen als Bewertungs- und Planungseinheiten in der Landschaftsplanung
4.5 Fazit: Anforderungen von Bewertungsverfahren an die Typisierung von Biotopen
5 Biotoptypen als Erfassungseinheiten – Methodik und Ziele von Biotopkartierungen am Beispiel von Niedersachsen
5.1 Methoden von Biotopkartierungen
5.2 Historische Vorläufer der Biotopkartierung
5.3 Landesweite selektive Biotopkartierungen
5.4 Flächendeckende Biotopkartierungen
5.5 Einführung des gesetzlichen Biotopschutzes und seine Konsequenzen für die Biotopkartierung
5.6 Erfassung und Bewertung der Lebensraumtypen von Anh. I der FFH-Richtlinie
5.7 Aufbau und Prinzip des Kartierschlüssels für Biotoptypen in Niedersachsen.
5.8 Fazit und künftige Anforderungen
6 Analyse verschiedener Biotop- bzw. Habitatklassifikationen
6.1 Kriterien für die Analyse der Klassifikationen.
6.2 Globale Klassifikation der Ökosysteme
6.3 Biotoptypenlisten für Europa
6.4 Klassifikationen von Lebensräumen in Deutschland
6.5 Biotoptypenlisten anderer Staaten
6.6 Ausgewählte Kartierschlüssel deutscher Bundesländer
6.7 Vergleichende Gegenüberstellung verschiedener Klassifikationen
6.8 Fazit
7 Ergebnisse und Diskussion – Schlussfolgerungen für die Klassifikation und Typisierung von Biotopen
7.1 Anforderungen an die Klassifikation und Prinzipien der Typisierung
7.2 Erfassung objektbezogener Biotopdaten
7.3 Klassifikation von Biotop-Obergruppen
7.4 Kriterien für die Typenbildung innerhalb der Obergruppen
8 Entwurf einer optimierten Klassifikation der Biotoptypen
8.1 Erläuterung der Klassifikation
8.2 Tabellarische Übersicht der Biotoptypen Niedersachsens (CD)
9 Fazit und Ausblick
Quellen- und Literaturverzeichnis
Anhang (CD): Referenztabelle zwischen der Biotoptypenliste für Deutschland des Bundesamtes für Naturschutz (RIECKEN et al. 2006) und dem Kartierschlüssel für Biotoptypen in Niedersachsen (v. DRACHENFELS 2004)

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Zusammenfassung
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Biotoptyp als Kategorie zur Erfassung und Bewertung von Lebensräumen bzw. Landschaftsausschnitten für Aufgaben von Naturschutz und Landschaftsplanung. Ziel ist die Formulierung wissenschaftlich fundierter und gleichermaßen praxisorientierter Grundsätze für die Klassifikation und Typisierung von Biotopen, um so eine Grundlage für die Entwicklung bzw. Verbesserung von Standards für Biotopkartierungen zu schaffen. Die Klassifikation von Objekten (hier: Biotopen) bedeutet, sie nach bestimmten Gemeinsamkeiten, die für die Zielsetzung der Klassifikation relevant sind, Gruppen zuzuordnen. Diese Gruppen bilden die Klassen, die in ein hierarchisches System einsortiert werden können.

Bei der Typisierung werden die für die ermittelten Klassen wesentlichen Eigenschaften herausgearbeitet (bestimmte Ausprägungen und Kombinationen von Merkmalen), die festgelegten Typen mit Namen und/ oder Codes versehen sowie aufgrund qualitativer und/ oder quantitativer Kriterien definiert. Die Typisierung ist im wissenschaftstheoretischen Sinne der intensionale Aspekt der Klassifikation, während der extensionale Aspekt den Umfang der Klassen betrifft.

Die Klassifikation von Biotoptypen muss zwei Anforderungen erfüllen:

  • Vollständigkeit: Alle im Untersuchungsgebiet vorkommenden bzw. alle für die jeweilige Aufgabe relevanten Biotope müssen einem Typ zuzuordnen sein.
  • Eindeutigkeit: Jeder Biotop ist auf jeder Stufe der Hierarchie nur genau einer Klasse zuzuordnen.

Voraussetzung ist eine Methode, die deduktive und induktive Verfahren kombiniert, in dem sie ein systematisch vom Allgemeinen zum Besonderen („top down“) entwickeltes Grundgerüst durch die Einordnung konkreter Biotopdaten („bottom up“) vervollständigt. Da keine Klassifikation für alle möglichen Aufgaben gleichermaßen geeignet ist, ist festzulegen, für welchen Zweck sie vorrangig bestimmt ist. Der Begriff „Biotoptyp“ wird dazu in drei Schritten analysiert:

1) Der Biotoptyp als naturwissenschaftliche Kategorie; d. h. die Bestimmung des Biotopbegriffs im Kontext bioökologischer, landschaftsökologischer und vegetationskundlicher Termini: Es bestätigt sich, dass der Biotop gegenüber dem Ökotop die zutreffendere Kategorie für das Aufgabengebiet des Naturschutzes ist. Während der Ökotop in der Landschaftsökologie vorrangig auf das natürliche Standortpotenzial bezogen wird, ist der Biotop auf die vorhandene Biozönose ausgerichtet und somit als Bezugseinheit für Fragen des Arten- und Lebensraumschutzes besser geeignet. Die Artenzusammensetzung der Vegetation ist bei Biotoptypen – anders als bei Pflanzengesellschaften – kein unmittelbares Kriterium der Klassifikation. Sie ist in dem Maße relevant, wie sie die Struktur eines Biotops prägt sowie seine Standorteigenschaften modifiziert und anzeigt. Die Artenzusammensetzung fungiert bei der Biotopkartierung als Indikator für die Eigenschaften eines Biotops und ist in dieser Hinsicht auch bei der Klassifikation zu berücksichtigen.

Der Biotoptyp ist eine ganzheitliche Kategorie, die sich – je nach Ausprägung und Betrachtungsweise – aus zwei bzw. bis zu vier Komponenten zusammensetzt, welche sich gegenseitig beeinflussen oder bedingen: Standorttyp und (Raum-)Strukturtyp als obligatorische, Vegetationstyp und Nutzungstyp als fakultative Komponenten (die auch als Teilaspekte von Standort und Struktur aufgefasst werden können). In marinen Lebensräumen wird die Rolle der Vegetation teilweise von zoogenen Strukturen bzw. dem Makrozoobenthos übernommen. Aber auch im terrestrischen Bereich sind die Funktionen der Biotope als Tierlebensräume (Zootope) für das Biotoptypenkonzept von Bedeutung.

2) Der Biotoptyp als Bewertungs- und Planungseinheit; Untersuchung von Bewertungskriterien und -verfahren, die für die Klassifikation von Biotopen relevant sind: Im Unterschied zu seiner umgangssprachlichen Bedeutung als schutzwürdiger Lebensraum ist der Biotop als Fachbegriff grundsätzlich eine wertneutrale Kategorie. Dennoch ist die Biotoptypisierung immer mit Wertungen verknüpft. Die Klassifikation von Biotopen bedeutet eine nominale Skalierung. Die Festlegung von Biotoptypen beruht zudem auf normativen Entscheidungen über die Bedeutung von bestimmten Eigenschaften im Hinblick auf die Ziele der Klassifikation, impliziert also bereits eine Bewertung vor dem Hintergrund ordinaler Skalen (z. B. der Naturnähe).

Biotoptypen können auf der Typusebene und auf der Objektebene bewertet werden. Dabei sind folgende Kriterien von vorrangiger Bedeutung: Naturnähe (oder Hemerobie), Empfindlichkeit gegen Eingriffe oder Belastungen (z. B. Entwässerung oder Eutrophierung), Regenerationsfähigkeit (inkl. Wiederherstellbarkeit), Gefährdung (inkl. Seltenheit). Diese sind auch die wichtigsten Teilkriterien komplexerer Biotopwerte, die die Bedeutung von Biotoptypen für den Naturschutz ordinal skalieren und bei der Beurteilung von Eingriffen angewendet werden. Ziel ist daher auch, die Biotoptypen so eng zu fassen, dass ihnen jeweils keine Biotope mit stark abweichender Schutzwürdigkeit zuzuordnen sind.

Ebenfalls von vorrangiger Relevanz ist das Kriterium „Erhaltungszustand“, auch wenn dieses in erster Linie auf der Objektebene zu bewerten ist. Je qualitativ heterogener ein bestimmter Biotoptyp in Abhängigkeit von anthropogenen Einflüssen ausgeprägt sein kann, umso eher sollten deutliche Qualitätsunterschiede – die meist auch mit unterschiedlichen Natürlichkeitsgraden korreliert sind – zu einer Aufteilung in separate Typen führen. Dies gilt etwa für mehr oder weniger degradierte Hochmoore und mehr oder weniger ausgebaute Fließgewässer.

Weitere Kriterien mit Relevanz für die Klassifikation sind Repräsentanz, kulturhistorische Bedeutung und Entwicklungspotenzial.

In der Landschaftsplanung dienen Biotoptypen vorrangig zur Bearbeitung der Schutzgüter „Arten und Biotope“. Die Biotopkartierung liefert aber zusätzlich wichtige Daten für die Schutzgüter „Landschaftsbild“, „Boden und Wasser“ sowie „Klima und Luft“, insbesondere wenn Standort- und Strukturparameter bei der Klassifikation angemessen berücksichtigt werden.

3) Der Biotoptyp als Erfassungseinheit: Bei der Biotopkartierung können im Wesentlichen zwei Prinzipien unterschieden werden: selektive Erfassungen von Biotopen mit besonderer Bedeutung für den Naturschutz und flächendeckende Verfahren, bei denen das gesamte Untersuchungsgebiet Biotoptypen zugeordnet wird.

Methodik und Aufgaben von Biotopkartierungen werden am Beispiel von Niedersachsen dargestellt – ausgehend von einem Abriss der historischen Entwicklung, um den heutigen Stand nachvollziehbar zu machen:

Vorstufe der Biotopkartierung waren selektive Erfassungen geschützter und schutzwürdiger Landschaftsbestandteile bzw. größerer Gebiete in Verbindung mit grob kategorisierten Listen oder textlichen Beschreibungen. Erst ab 1977 wurden standardisierte Erfassungseinheiten eingeführt, die aber anfangs nur teilweise den Kriterien von Biotoptypen entsprachen. In Niedersachsen wurden bisher zwei landesweite selektive Biotopkartierungen durchgeführt: von 1977 bis 1982 und von 1984 bis 2004. Da sie – neben Biotoptypen – auch Kriterien des Arten- und des Geotopschutzes berücksichtigten und vielfach größere, komplexe Landschaftsausschnitte abgrenzten, wurden sie konsequenterweise als „Erfassung der für den Naturschutz wertvollen Bereiche in Niedersachsen“ bezeichnet. Vorrangiges Ziel war die Ermittlung von Gebieten mit besonderer Eignung zur Ausweisung als Naturschutzgebiet. Dabei wurden die bestehenden Schutzgebiete nach demselben Verfahren erfasst.

Neben dieser landesweiten selektiven Erfassung wurden und werden flächendeckende Kartierungen durchgeführt, als Datengrundlage für Landschafts- und Landschaftsrahmenpläne, die Forsteinrichtung der Landesforsten, Pflege- und Entwicklungspläne von Schutzgebieten sowie für die Beurteilung von Eingriffen. Ein wesentlicher Impuls zur Weiterentwicklung der Biotopkartierung ging von der Einführung des gesetzlichen Biotopschutzes seit 1990 aus. Dieser erfordert die vollständige und möglichst genaue Erfassung bestimmter Biotoptypen nach landesweit einheitlichen Kriterien und war daher Anlass für die Entwicklung des „Kartierschlüssels für Biotoptypen in Niedersachsen“, der seit 1992 eine standardisierte Klassifikation von Biotoptypen für selektive und flächendeckende Biotopkartierungen in Niedersachsen vorgibt. Seit 2001 bildet die Inventarisierung der FFH-Gebiete eine vorrangige Aufgabe der Biotopkartierung in Niedersachsen. Dazu war die Integration der Lebensraumtypen von Anh. I der FFH-Richtlinie notwendig, was die Überarbeitung des Kartierschlüssels erforderte und eine weitere Steigerung der fachlichen Anforderungen an die Biotopkartierung bedeutete.

Die schrittweise Entwicklung dieses Kartierschlüssels und die niedersächsische Biotopkartierung bilden die methodische Basis und die Datengrundlage für die vorliegende Arbeit.

Künftig wird die Weiterentwicklung der Biotopkartierung zu einer standardisierten Methode des Monitoring sowie als Datengrundlage für Berichtspflichten und den Datenaustausch auf europäischer Ebene zunehmende Bedeutung erlangen.

Um die Ausgangssituation für die Entwicklung einheitlicher Standards zur Klassifikation, Typisierung und Erfassung von Biotopen zu klären, wurde eine vergleichende Analyse vorliegender Klassifikationen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene vorgenommen. Diese beinhaltet u. a. eine Gegenüberstellung der Klassifikationen der Biotoptypen Deutschlands (vom Bundesamt für Naturschutz) und des niedersächsischen Kartierschlüssels sowie Untersuchungen der Klassifikationen von CORINE biotopes, EUNIS und Anh. I der FFH-Richtlinie, von Österreich, der Schweiz und Belgien, des gesetzlichen Biotopschutzes nach § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes sowie der Kartierschlüssel diverser deutscher Bundesländer.

Es ist offensichtlich, dass die verschiedenen Klassifikationen auf heterogenen Kriterien beruhen. Viele Kategorien erfüllen nicht die Anforderungen an Biotoptypen, sondern stellen Standort-, Nutzungs-, Struktur- oder Vegetationstypen bzw. Biotopelement- oder Biotopkomplextypen dar. Dies ist eine wesentliche Ursache für die geringe Kompatibilität der verschiedenen Ansätze. Die Aufklärung der methodischen Ursachen dieser Abweichungen ist eine wichtige Voraussetzung, um künftig Klassifikationen zu entwickeln, die für den notwendigen Datenaustausch auf nationaler und internationaler Ebene besser geeignet sind. Zur Datenerfassung bestimmte Biotoptypen müssen so konzipiert werden, dass sie als Kartierungs- und Bewertungseinheiten in der Praxis operabel sind. Dabei spielen der Differenzierungsgrad der Klassifikation sowie die Eindeutigkeit der Zuordnungen wesentliche Rollen.

Es wird deutlich, dass zum einen Klassifikationen auf nationaler und internationaler Ebene nicht zu differenziert sein dürfen, um einen angemessenen Rahmen zu bilden, und dass zum anderen die Kompatibilität regionaler Klassifikationen einen geeigneten übergeordneten Rahmen voraussetzt. Die Relevanz von bestimmten Biotopausprägungen für die Klassifikation kann besser beurteilt werden, wenn regional erhobene Daten und übergeordnete Kategorien verglichen werden.

Auf der Grundlage dieser Analysen wurde eine erweiterte Definition des Biotopbegriffs entwickelt, welche die Basis für ein einheitliches Biotoptypenkonzept des Naturschutzes bilden kann:

  • Ein Biotop ist ein Landschaftsausschnitt mit spezifischen, weitgehend homogenen Eigenschaften als Lebensraum einer Biozönose, der aufgrund kartierbarer Merkmale von seiner Umgebung abgegrenzt werden kann und eine bestimmte Mindestgröße aufweist.
  • Er umfasst alle Schichten der Biosphäre: die bodennahe Luftschicht, den Boden und das pflanzenverfügbare Grundwasser; bei Gewässern den Wasserkörper und den Gewässergrund. Teile der Biozönose sind eingeschlossen, soweit sie die Struktur und die Standortmerkmale mit bestimmen (insbesondere die Vegetation, aber auch zoogene Strukturen).
  • Der Biotop ist die räumliche Komponente des zugehörigen Ökosystems im Hinblick auf naturschutzfachliche Kartierungen und Bewertungen.
  • Ein Biotoptyp ist eine Klasse, in der solche Biotope zusammenfasst sind, die hinsichtlich wesentlicher Eigenschaften übereinstimmen. Er ist eine ganzheitliche Kategorie, die Merkmale von Standort-, Struktur-, Nutzungs-, Vegetations- und Zootoptypen integriert.
  • Der Biotoptyp hat auch eine zeitliche Dimension. Er ist am aktuellen Zustand von Standort und Biozönose ausgerichtet und berücksichtigt zugleich die zeitliche Varianz der Merkmale. Für seine Bewertung und damit auch für die Klassifikation sind ferner seine Entstehung (historischer Aspekt) und sein Potenzial für künftige Entwicklungen relevant.

Für die Klassifikation und Typisierung von Biotopen lassen sich folgende Grundsätze formulieren – im Sinne von Vorschlägen für die Entwicklung bzw. Verbesserung von Standards im Naturschutz:

Klassifikationen von Biotoptypen sollen hierarchisch aufgebaut sein, um ein übersichtliches System von Einheiten unterschiedlichen Differenzierungsgrads zu schaffen. Sie müssen die Komplexität der Realität reduzieren, aber ausreichend differenziert sein, um die Vielfalt und Eigenart der Lebensräume adäquat abzubilden. Die fachliche Herausforderung liegt darin, das richtige Maß an Abstraktion zu finden. Die Zahl der Hierarchiestufen ist dabei auf das für den Anwendungszweck notwendige Maß zu begrenzen.

Für eindeutige Zuordnungen ist ein monohierarchisches Grundgerüst von Biotoptypen und Obergruppen erforderlich. Die Kombination mit einer additiven Klassifikation gesondert typisierter Kategorien (z. B. spezieller Standort- oder Nutzungstypen) als Zusatzmerkmale ermöglicht optional ein Maximum an Detaillierung, ohne dass das Grundgerüst der Klassifikation unübersichtlich wird. Dieses Konzept der Klassifikation wird als Baukastenprinzip oder Modularität bezeichnet. Es erfordert klare Regeln, damit die Bedingung der eindeutigen Zuordnung gewährleistet ist. Für die Entwicklung vollständiger und eindeutiger Klassifikationen werden verschiedene Methoden vorgestellt, insbesondere dichotome Bestimmungsschlüssel, Dendrogramme, Ökogramme und standortbezogene Schemata des Biotoppotenzials.

Im Hinblick auf die Ziele und Möglichkeiten von Biotopkartierungen sind folgende Grundsätze zu beachten:

  • Biotope, die sich aus Sicht von Naturschutz und Landschaftsplanung hinsichtlich bewertungsrelevanter Eigenschaften erheblich unterscheiden, sind gesonderten Typen zuzuweisen. Typusbezogene Bewertungen setzen voraus, dass die Biotoptypen hinsichtlich der dafür wesentlichen Kriterien (v. a. Naturnähe, Empfindlichkeit, Regenerationsfähigkeit, Gefährdung) in sich möglichst homogen sind.
  • Biotoptypen sollten eine eindeutige Relation zu einschlägigen Kategorien des Naturschutzrechts einschließlich europäischer Richtlinien haben. Dies ist allerdings bis jetzt schwer umzusetzen, weil diese Vorgaben den Anforderungen an eine sachgerechte Klassifikation von Biotoptypen nicht gerecht werden.
  • Biotoptypen müssen mit den bei Biotopkartierungen üblichen Erfassungsmethoden möglichst zweifelsfrei erkenn- und abgrenzbar sein. Dazu sind auch Aspekte der Fernerkundung, die Kartierungsmaßstäbe und mögliche Fehlerquellen zu beachten.
  • Der Praxisbezug erfordert auch die Kommunizierbarkeit des Biotoptypenkonzeptes und entsprechender Daten gegenüber Laien und Vertretern anderer Fachbereiche. Daher ist allgemeinverständlichen Begriffen so weit wie möglich der Vorzug zu geben.

Für die systematische Typisierung wurde ein Schema entwickelt, das die wichtigsten Merkmale der Standorte, Raumstrukturen und Nutzungen enthält. Es dient der deduktiven Bildung von Biotoptypen und der Überprüfung von Biotoptypen, ob sie ausreichend homogen und differenziert sind. Typisierungskriterien sind, je nach Art des Lebensraums mit unterschiedlicher Relevanz: Wasserhaushalt, Stoffhaushalt (Nährstoffe, Basen, Salz u. a.)‚ Klima/Höhenstufe, Substrat, Geländegestalt (Relief, sonstige abiotische Raumstrukturen), Vegetationsstrukturen oder in Einzelfällen zoogene Strukturen (oft in Verbindung mit dominanten Arten), Nutzung. Zusatzkriterien können auch der Grad des menschlichen Einflusses (Naturnähe/Hemerobie) und Größenmerkmale sein.

Jeder Biotoptyp benötigt eine möglichst eindeutige Bezeichnung und eine Kennziffer, die als Gliederungsnummer seine Stellung im hierarchischen System der Klassifikation anzeigt. Zusätzlich sind für die praktische Arbeit einprägsame Buchstabencodes mit sinnfälligen Zeichenkombinationen zweckmäßig. Essenzieller Bestandteil der Typisierung sind Definitionen jedes Biotoptyps. Diese müssen folgende Punkte beschreiben:

  • die idealtypische Ausprägung,
  • die minimal erforderliche Ausstattung (Mindestqualitäten und ggf. auch Mindestgrößen) und
  • die maßgeblichen Unterschiede zu ähnlichen Typen. Typbezeichnung und -definition müssen inhaltlich kongruent sein.

Biotope bilden in der Realität grundsätzlich Komplexe mit vielfältigen Übergängen. Die Klassifikation muss daher eindeutige Regeln für die Bearbeitung von Biotopkomplexen und -übergängen vorgeben. Biotopkomplextypen sollten nur dann neben homogenen Biotoptypen in einer gemeinsamen Klassifikation enthalten sein, wenn ihre Aufteilung fachlich nicht zweckmäßig ist und wenn sich ihre Bestandteile nicht mit gesondert aufgeführten Biotoptypen überschneiden. Dies gilt vorrangig für den Siedlungsbereich.

Die Klassifikation von Biotopen kann nicht losgelöst von der Frage erstellt werden, wie die festgelegten Typen erfasst werden sollen. Biotopkartierungen erfordern die Erhebung und Dokumentation objektbezogener „Rohdaten“, um die Zuordnung der Biotoptypen zu belegen und weitergehende, objektbezogene Bewertungen zu ermöglichen. Der Umfang des Datenbedarfs hängt vom Zweck der Kartierung und von der Bedeutung der Biotoptypen ab. Zu erfassen sind je nach Biotoptyp Merkmale der Standorte (inkl. Art der Entstehung bzw. Alter), Strukturen, Biozönose (meist Vegetation), Nutzungen und Beeinträchtigungen. Aufgrund des ganzheitlichen Charakters von Biotopen und der Tatsache, dass jeder Biotop ein individuelles Objekt ist, sollte die Erfassung standardisierter, statistisch auswertbarer Daten nach Möglichkeit um textliche Beschreibungen und Fotos ergänzt werden. Ausgehend von diesen Grundsätzen werden die Kriterien für die Bildung von Typen und deren Obereinheiten diskutiert. Kriterien für die Gruppierung von Typen sind v.a.:

  • Ähnlichkeit der Standorte und Biozönosen,
  • Vergesellschaftung in bestimmten Biotopkomplexen,
  • pragmatische Aspekte der Biotopkartierung.

Für Niedersachsen sind – orientiert an der EUNIS-Klassifikation – folgende Obergruppen von Biotoptypen sinnvoll:

1) Meeres- und Küstenbiotope
2) Binnengewässer
3) Wald- und gebüschfreie Moore/Sümpfe
4) Heiden, Grasland, Staudenfluren
5) Gebüsche und Gehölze im Offenland und Siedlungsbereich
6) Wälder
7) Gesteins- und Offenbodenbiotope
8) Äcker, landwirtschaftliche und gartenbauliche Kulturen
9) Biotope der Bauwerke, Biotopkomplexe der Siedlungs- und Infrastrukturbereiche
Für jede dieser Obergruppen werden die Kriterien und Merkmale für die Typenbildung festgelegt und in Typisierungsmatrizes zusammengestellt.

Auf der Basis der formulierten Grundsätze wurde die Klassifikation des „Kartierschlüssels für Biotoptypen Niedersachsens“ mit dem Ziel einer methodischen Optimierung überarbeitet. Das Gliederungsprinzip besteht aus Obergruppen, Untergruppen erster und zweiter Ordnung, Haupttypen sowie Untertypen erster und (fakultativ) zweiter Ordnung. Zusätzlich werden Standort-, Nutzungs- und Strukturvarianten durch Zusatzmerkmale verschlüsselt. Für einige ausgewählte Standort(komplex)typen mit besonderer rechtlicher oder fachlicher Relevanz (z. B. Binnendünen) werden beispielhaft zusätzliche Überlagerungseinheiten klassifiziert. Die Klassifikation wird in einer Tabelle mit Gliederungsziffern, Buchstabencodes, Bezeichnungen der Biotoptypen und Obereinheiten sowie einigen kurzen Erläuterungen dargestellt.

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